Erfahrungsbereich: Gruppen-Singen im Kindergarten
Vortrag von Ute Haesner auf der 8. wissenschaftlichen Tagung der Akademie für angewandte Musiktherapie Crossen und der DMVS e.V.
Zuerst stelle ich kurz die Einrichtung vor, in der ich einmal pro Woche für drei, nunmehr vier Stunden in musikalischer Weise mit den Kindern zusammen komme. Die Einrichtung befindet sich in Golzow, Landkreis Märkisch-Oderland, nahe der Oder. Einigen ist der Ort vielleicht bekannt aus der Dokumentationsreihe „Die Kinder von Golzow“.
In dieser Integrationskita der Lebenshilfe Brandenburg kommen 68 Kinder aus der Umgebung zusammen. Ihr Alter liegt zwischen ein paar Monaten bis sieben Jahren. Die soziale Zusammensetzung bedient die Spannbreite vom gut situiertem Einzelkind, von Geschwisterkindern, Familien mit unterschiedlichem sozialen und finanziellen Hintergrund, auffallend vielen Pflegekindern und Kindern aus kinderreichen Familien.
Ich hatte damals den Auftrag erhalten mit den Integrationskindern der Kita zu arbeiten. Es waren zehn Kinder, die musiktherapeutisch begleitet werden sollten. Das von der Geschäftsführung bereitgestellte Stundenbudget von drei Stunden reichte nicht aus, um die von der Einrichtung gewollte Einzelarbeit für alle Kinder sinnvoll zu ermöglichen.
Die Leiterin der Einrichtung und ich überlegten, bei wem eine Einzelförderung sinnvoll und auch notwendig ist, bei welchen Kindern eventuell eine Kleingruppe angebracht ist. Auch haben wir darauf geachtet, welche Kinder zwar den Integrationsstatus haben, und damit Anspruch auf musiktherapeutische Förderung, aber besser erst einmal nur spielen, träumen und probieren sollten, um nicht gleich mit Therapien überhäuft zu werden.
Ein ausschlaggebendes Kriterium für eine Einzeltherapie war die Bedürftigkeit nach emotionaler Zuwendung. Diese Kinder hatten Vorrang.
Ich tastete mich an die Arbeit heran. Die Erwartungen der Mitarbeiter mit allen diesen Kindern gleichermaßen intensiv zu arbeiten waren unrealistisch, das erforderte eine Klärung im Vorfeld.
Mit den ausgewählten Integrationskindern arbeitete ich eine Zeit lang einzeln und in Kleingruppen. Mit manchen Kindern gelang es gut, sie freuten sich sehr auf die Zeit nur zu zweit, anderen fiel es schwer sich aus ihrem Spiel zu lösen. Diese Situation war nicht gut. Daher ging ich zu den Kindern in den Buddelkasten und habe mit ihnen Sandkuchen gebacken, spielte mit Blättern, beklopfte das Haus mit den verschiedenen Geräuschen, wir sangen und hüpften, u.s.w. Ich wurde skeptisch beobachtet. Aber dort im Sandkasten erzählten die Kinder, fragten nach meiner Kette, den Farben, beschrieben die Formen und sie beschrieben mir, womit sie gerade beschäftigt waren.
Mir fiel auf, dass in dieser Kita wenig gemeinsam gesungen und gespielt wurde. Die Kinder kannten kaum Lieder, es sei denn, es wurde zu Hause gesungen. Die Stimmen waren tief und laut beim Singen. Man hörte immer wieder „Kinderdiscomusik“ aus einem CD-Player.
Viele Dinge kreisten in meinem Kopf. Der soziale Aspekt des Singens, Sprach- und Stimmentwicklung, Motorik, Genuss, Liedgut. Mit einer Erzieherin entwickelte sich ein besonders guter Draht. Sie hatte in ihrer Gruppe auffallend viele Integrationskinder. Das Gruppensingen lag nun nahe.
Ich sprach mit der Kitaleiterin, stellte ihr meine Idee vom gemeinsamen Singen und Musizieren in der Gruppe vor. Sie fand das gut und meinte, dass es auch besser zu einer Integrationskita passt. Gesagt, getan.
In der vorgesehenen Gruppe waren insgesamt 13 Kinder. Davon fünf Integrationskinder. Das Alter der Kinder reichte von fünf bis sieben Jahren. Drei Kinder waren zurückgestellt.
Zunächst stelle ich einige Kinder kurz vor, selbstverständlich mit geänderten Namen.
Kevin, 7 Jahre, lebte mit seinem Bruder, 6 Jahre, in sehr ungünstigen sozialen Verhältnissen, bis sie schließlich in eine Erziehungsstelle kamen. Dort geht es ihnen nun gut. Beide Brüder hatten den Status eines Integrationskindes wegen sozial-emotionaler Vernachlässigung, was natürlich ihre kognitive Entwicklung massiv beeinträchtigte. Frühförderung und Logopädie erhielten die beiden Jungs bereits.
Marie kam im Vorschuljahr nach Golzow in die Integrationskita. Sie war auf Grund einer Spastik sprachlich und motorisch beeinträchtigt. Marie war 6 Jahre, hatte ein gutes zu Hause. Sie erhielt Frühförderung, Logopädie und Physiotherapie. Marie ging anfangs gern mit zu all den Therapeuten, aber ich beobachtete zunehmend Unlust, und der Logopäde sprach von einer schweren Arbeit. Als ich sah, wie fröhlich und neugierig sie mit anderen Kindern spielte, war für mich klar, dass sie nicht alleine zur Musiktherapie kommen sollte. Sie beobachtete andere Kinder und ahmte sie nach, bis ihr zunehmend mehr Dinge gelangen. Die Gruppe gab ihr Schutz um sich auszuprobieren. Auch freute sie sich, mit anderen Kindern zusammen zu sein.
Charlotte war ein sehr dynamisches Mädchen. Sie plapperte mit Begeisterung, aber sie war schwer zu verstehen. Sie wuchs zum großen Teil bei ihrer Oma auf. Ihre Mutter besuchte sie nur am Wochenende. Von der Oma lernte Charlotte viele Lieder. Schade nur, dass dieses Liedgut nicht als Ressource zur Sprachförderung erkannt wurde. Ihre Fähigkeiten wären ein guter Ansatz zum Aufbau einer Arbeitsbeziehung gewesen, stattdessen wurde in der Einzelförderung eher an den Defizite angesetzt.
Katrin, 6 Jahre, lebte bei ihrer Mutter, war sehr kräftig und robust in ihrem Verhalten anderen gegenüber. Für sie war Einzel-MT vorgesehen. Nach drei oder vier Treffen beendete ich dieses Form der Arbeit. Katrin schmiss sich hin, äffte in extremer Weise herum. Körperlichen Schmerz hat Katrin wohl kaum empfunden, vielleicht hat ihn auch zur Kompensation von etwas anderem gebraucht, ich weiß es nicht. Mit Katrin sollte an Sprachentwicklung, Sozialverhalten und Aufmerksamkeit gearbeitet werden.
Michel, 7 Jahre, war ein großer blonder Junge, der oft mit Handwerker-Latzhosen in die Kita kam. Er war ein unruhiges Handwerkerkind, aber voller Freude und Mitteilungsbedürfnis. Weil er große Probleme mit Konzentration und Ausdauer hatte, wurde er ein Jahr zurückgestellt. Seine Sprache war nicht gut entwickelt.
Tom, 6 Jahre, war zu Hause emotional sehr vernachlässigt. Er war dünn, kränklich und hatte oft dunkle Augenringe. Er bekam seine Zeit zur Einzelbegegnung neben dem Singen in der Gruppe. In der Einzelarbeit ging es um Beziehung und ganz viel Nähe. Tom wollte spielen, suchte dabei immer Körperkontakt. Oft hörten wir Musik, und er lag dabei wie ein Embryo auf meinem Bauch. Ich deckte ihn zu und streichelte ihn.
Zurück zur gesamten Gruppe und dem Singen: Die anderen Kinder der Gruppe waren „normale“ Kinder, mit all den Dingen, die gut gelingen und anderen, die schwer fallen und noch nicht so glücken.
Eine erfahrende Erzieherin und ein junger Kollege im Berufseinstieg betreuten die Gruppe.
Die Erzieher der Gruppe waren sofort angetan und froh, dass ich das Singen nun übernahm. Beide waren meistens mit dabei, weil sie für sich vieles lernen wollten. Es war ein sehr gutes Miteinander. Ich schaute erst einmal, was für Liedgut vorhanden war. Diese Bilanz war traurig. Die Kinder konnten Fragmente von Kinderliedern, alt und modern, die in Disco-Rhythmen von CDs abgespielt wurden. Die Erzieherin hatte immer Lust auf Neues und Peppiges, da sie ja die anderen Lieder schon kannte. Aber nicht die Kinder! Das sagte ich ihr so und erklärte ihr, was sie den Kindern damit vergibt. Wir durchstöberten ihren Ordner mit Liedern, ich stellte ihr meine Ideen vor und wir fanden schnell zu Liedern, die wir singen wollen.
Die Erzieherin hat das neue Gruppensingen wohl sehr spannend bei den Kindern angekündigt. Ich spürte eine große Neugier und Erwartung. Alle Kinder kannten auch meinen Namen. Puh, das machte Druck.
Wie verlief die gemeinsame Zeit? Erst bildeten wir einen großen Kreis. Die ersten Herausforderungen für die Kinder: wen fasse ich an und wen nicht? Wie bekommen wir so etwas wie einen Kreis hin? Wir schüttelten unsere Beine und Arme, lauschten still, jauchzten laut im Kreis zusammen, machten Tierstimmen nach, klatschten und stampften, spielten mit der Stimme, und alles was den Kindern sonst noch einfiel. Diese Dinge dienen der Einstimmung auch im Sinne eines Rituals, wobei auch der Aspekt der Synchronisation eine Rolle spielt. Wir brauchen eine Basis für das gemeinsame Singen. Und natürlich geht es auch um die körperliche und stimmliche Zubereitung.
Für mehrere Wochen folgte ein Sprechkanon mit Gesten, um dem Drang nach Bewegung nachzukommen und allen ein sichtbares gemeinsames Erlebnis zu schaffen. Oder ein Rap über eine Ente. (Diese beiden Dinge kennen inzwischen alle Eltern)
Nach dieser ersten Runde widmeten wir uns den Liedern, bekannten und oder neuen. Die Hinlenkung darauf war unterschiedlich. Entweder ich erzählte das Lied als eine Geschichte, oder ich nutzte Verbindungen zu aktuellen Ereignissen.
Beim Probieren der Lieder legte ich viel Wert auf eine gute Sprache und Verständlichkeit. Darauf schien in der Gruppenarbeit bisher wenig geachtet worden sein, was umso mehr erstaunt, als ein Viertel der Kinder logopädisch betreut wurden. Schade um die vergebene Chance.
Mit dem Logopäden gibt es übrigens eine gute Zusammenarbeit. Ich gebe ihm die Liedtexte, damit er sie in seiner nutzen kann und damit die Kinder in den verschiedenen Aktivitäten Zusammenhänge erkennen können.
Das Vor- und Nachsingen war den Kindern neu. Wenn ich begann zu singen, quäkten und brüllten alle Kinder sofort mit. Es war anfangs nicht möglich, dass ich ein paar Töne alleine singe. Zuhören gelang den Kindern lange nicht. Es war nur noch laut. Die Kinder nervten sich dabei selber und schimpften untereinander. Die Erzieherin wollte eingreifen. Ich bremste sie. Aushalten! Oh je, dachte ich. Sollte das nicht schon möglich sein – das Zuhören aufeinander so kurz vor der Schule? Ich war irritiert.
Ich blieb dabei. Ich singe, dann singt ihr, dann wir. Das Singen in den verschiedenen Konstellationen wurde mit der Zeit immer leichter. So konnte ich auch andere „Gruppen“ bilden: Jungs – Mädchen, Zopf – offene Haare, Kleider-Hosen, Mittagskinder usw. Das fanden die Kinder spannend. Sie sahen sich mit den anderen Kindern der Gruppe in immer wechselnden Konstellationen. Sie schauten auf die anderen und erkannten mehr von sich. Damit gewannen sie an Identität und sahen sich auch in unterschiedlichen Zugehörigkeiten.
Es brauchte einige Zeit, bis wir dann auch Lieder mit verschiedenen Rollen singen konnten. Zum Beispiel „Kleine Meise“, „Kleiner Kuckuck, der mich neckt“.
Den Kindern machte es sehr viel Freude mit verteilten Rollen zu singen. Sehr zum Erstaunen der Erzieherinnen, die den Kindern das nicht zugetraut hätten. Ich merkte dabei, dass die Erzieher sich recht schnell mit dem Erreichten zufrieden gaben. „Wir haben es gesungen – gut“. Aber das Spiel mit den Liedern in der Gestaltung und das Erleben mit den Inhalten der Lieder, die Übernahme der verschiedenen Rollen – das machte den Kindern Freude. Der Wunsch der Kinder, diese Dinge immer wieder zu wiederholen, sich zu probieren um Sicherheit im gemeinsamen Tun miteinander zu erleben, das braucht Platz und Zeit. Das heißt, die eigene Lust als Erzieher hinten an stellen und sich den Kindern dafür zur Verfügung zu stellen – Raum und Zeit zu geben.
Das entsprach anfangs nicht in den Vorstellungen der Erzieher. Ihre Haltung dazu veränderte sich jedoch recht schnell.
Beim Erlernen der Lieder achtete ich immer auf die Mundbewegung der Kinder. Haben sie die Worte für sich erfasst, können sie diese aussprechen? Ein wichtiger Hinweis dazu kam im Gespräch noch von der Kita-Leiterin. Sie sagte, dass die Kinder in Sprachtests zu Sprachverständnis und Grammatik nicht so gut abschnitten.
Überbetont formte ich die Worte, wir sangen langsam und hörten uns immer wieder untereinander zu. Zuhören war den Kindern prinzipiell nicht neu, wohl aber diese Form des aufeinander Hörens. Es war Neugier dabei. Wie machen es die anderen, wie gelingt es mir? Eine Offenheit untereinander entwickelte sich.
Es war wunderbar zu sehen, wie zum Beispiel Marie im Schutz der Gruppe mit Freude und Mut ihre Lippen formte, immer wieder versuchte sie es, und das über mehr als 30 Minuten. Der Logopäde war beeindruckt. Genauso ging es mit Kevin. In der Einzelarbeit war er manchmal aufgedreht. Im Fokus zu stehen war anstrengend für ihn. In der Gruppe schaute er auf mich und auch auf die anderen Kinder zur Orientierung und Sicherheit, mal zog er sich zurück, was aber in der Gruppe nicht auffiel.
In der Mitte des gemeinsamen Singens war Gelegenheit für Einzelne, etwas vorzusingen und zu zeigen. Einige Kinder nutzten die Chance: sie sangen bekannte oder spontan ausgedachte Lieder über Dinge, die sie bewegen. Andere wollten auch im Vordergrund stehen und alberten herum. Das veränderte sich jedoch schnell weil sie merkten, was es braucht, damit man ihnen zuhört. Es ist anstrengend zu überlegen und dann zu erfahren, wie ich gut wirksam werde, um Interesse zu wecken. Die einzelnen Kinder waren dann für die Zeit ihres Lieder Solisten, und die anderen Kinder lauschten, ganz besonders die Erzieher, die Neues dabei erfuhren und die Kinder oft in einer anderen Weise erlebten.
Nach den Sommerferien fanden sich zunächst keine Kinder, die als Solisten hervortreten wollten. Das lag daran, dass die ehemaligen Solisten inzwischen eingeschult waren. Die Solisten waren Integrationskinder mit „auffälligem“ Verhalten. Sie trauten sich hervorzutreten und konnten sich als positive Gestalter in der Gruppe erleben.
Weiter im Gruppensingen: Je nach Situation und Bedürfnis der Kinder sangen wir anschließend Spiellieder, probierten Instrumente oder sangen noch einmal ein neu gelerntes Lied.
Zu den Spielliedern: Auch da war nicht viel an Liedgut vorhanden. Ein Mädchen aus einer Pflegestelle, wo viel gesungen wird, begann das Lied „Husch, Husch, Husch die Eisenbahn“. Das war den Erziehern fast peinlich. Es ist tatsächlich auch ein Lied für kleinere Kinder. Ich ließ die Kinder das Lied gestalten und die beiden Erzieher waren nach kurzem Stutzen freudig mit dabei.
Was geschah, war für die Kinder der Gruppe ein tolles Erlebnis. Alle Kinder der Gruppe sangen über mehrere Wochen dieses Lied mit großer Freude. Alle machten mit, konnten abwarten, wählten den Nachfolger, konnten sich gut anfassen ohne sich weh zu tun. Sie erzählten von ihren Reisen mit den Eltern oder Großeltern. Das Beste war, dass die Kinder ein gemeinsames Erlebnis hatten. Sie haben gemeinsam etwas gemacht, was ihnen allen gefiel, und alle waren ohne Streit und Brüllen dabei. Sie waren selber erstaunt darüber. Vielleicht war das auch ein Grund, warum die Kinder dieses Lied immer wieder sangen. Mir kam der Gedanke, dass die Kinder für ihre Entwicklung Lieder brauchen, die sie mit Erlebnissen verknüpfen können. „Husch, Husch, Husch die Eisenbahn“ war für die Kinder in ihrer Situation offenbar genau das Richtige.
Manchmal griffen wir zu den Instrumenten. Klarheit ist in der Arbeit mit Instrumenten sehr wichtig, sonst klimpert es überall und immer. Das Instrumentalspiel soll Raum geben zum Probieren, leise Spielen und auch Krach machen. Wir spielten Musik in verschiedenen Gruppen, eingeteilt nach Instrumentengruppen, Jungs / Mädchen, müde / wach, Lust auf laut / leise, usw. Es gelang den Kindern immer mehr, sich zuzuhören und zu warten. Manchmal bot sich die Gelegenheit, Klänge und die Musik zu beschreiben. Auch Ketten– und Kreisspiele waren gut möglich. Die Kinder entwickelten mit der Zeit zunehmend eine Sensibilität dafür, dass kein Kind beim Spiel vergessen wurde. Toll war für die Kinder das Dirigieren. Wie mache ich mich bemerkbar, dass alle mich sehen, auf mich achten? Wie zeige ich laut, leise, schnell, langsam, eine Pause und den Schluss? Das braucht Ideen, Mut und Absprachen. Hatten die Kinder das für sich entdeckt, wollten sie es immer wieder probieren und waren stolz.
Die Kinder in der Gruppe hatten, bis auf ein einziges Mädchen, ein erstaunlich geringes Rhythmusgefühl. Klatschen, Stampfen, Bewegen sowie Instrumentalbegleitung von Liedern waren daher kaum möglich. Ein Sprechkanon mit Bewegung gelang schon eher. Aber grundsätzlich konnte ich dabei noch nicht viel erreichen. Das zeigte sich auch beim Tanzen. Das Gefühl für den eigenen Körper ist nicht gut entwickelt. Ideen zum Ausdrücken und Darstellen sind sehr begrenzt. Wichtig ist es daher, den Kindern immer wieder erneut Angebote zur Bewegungsimprovisation zu machen.
Das gemeinsame Singen / Musizieren beendeten wir immer mit einer Aktion, an der alle sicher mitmachen konnten. Das konnte ein gemeinsames Lied oder Instrumentalstück sein, der Enten-Rap, oder die Eisenbahn, wo der Raum als singender Übergang zur nächsten Aktivität verlassen wurde.
Was war noch zu beobachten? Spannend wurde es, als die Kinder ihre Stimmen entdeckten. Während des Singens rutschten bei einigen die Stimme hoch. Es war so, als ob sie probieren wollten wie das geht, wie es klingt. Sie spürten, dass da noch was ist, was ihnen bisher fremd war. Nach einigen Wochen klangen die Die Stimmen der Kinder höher und heller, und sie konnten die Melodien gut singen. Die Variationen des Singens erweiterten sich: Die Kinder sangen laut und leise, langsam und schnell, höher und tiefer und der Tonumfang nahm zu. Vorher klang es so, als ob die Melodien der Lieder von oben und unten zusammengedrückt wurden.
Entgegen einer verbreiteten Skepsis war es den Kindern sehr wohl möglich, einen Ton für das folgende Lied aufzunehmen. Natürlich bedurfte das einige Übung. Vorher sang üblicherweise einer los und alle stimmten irgendwie ein. Nun lauschten die Kinder aufmerksam auf die ersten Töne, dann erst begannen alle zusammen zu singen.
Was hat die Arbeit mit den Kindern gebracht? Die Erzieherinnen dieser Einrichtung stehen dem Singen wieder offener gegenüber. Sie fragten die Kitaleiterin, ob ich zukünftig einmal in der Woche in jeder Gruppe singe. Das wurde so organisiert.
Es zeigte sich, dass sich die Erzieherinnen mit dem Singen schwer taten und unsicher waren. Altes Liedgut ist in Vergessenheit geraten oder wird als unmodern abgelehnt. Sie standen unter dem unnötigen Druck, jedes Jahr neue Lieder anbieten zu müssen. Außerdem wird das Singen oft mit der Erfordernis verbunden, ein Instrument spielen zu können. Das stimmt aber nicht, das Singen als spontanes gemeinsames Erlebnis ist für die Kinder auch ohne Instrumentalbegleitung möglich und wichtig.
Die gewonnene Sicherheit und Freude der Erzieherinnen am Singen und Musizieren übertrug sich auf die Kinder. Die dadurch gewonnene Offenheit für das Singen ermöglicht den Kindern erweiterte Erlebnisräume. Allgemein wird in den Gruppen nun mehr gesungen, anstatt vom Musik-CDs berieselt zu werden. Jede Gruppe hat eine Instrumentenecke eingerichtet, auch mit Kissen zum Flezen beim Musikhören.
Die Wiederentdeckung des alten Liedguts ermöglichte das gemeinsame Singen mit Eltern und Großeltern, was für alle Beteiligten ein besonderes Erlebnis war. Davon haben Kinder und Eltern freudig berichtet. Welcher Schatz ist das für die Beziehung in der Familie! Man kann dadurch mehr miteinander erleben und gestalten.
Inzwischen singen die Kinder quer durch die Gruppen auch gemeinsame Lieder. Vergangenen Dienstag zum Beispiel sangen die Kinder an der Rutsche das Lied von den küssenden Igeln und dem Apfel. Einfach so. Mit der Kitaleiterin haben wir einige Lieder ausgesucht, die in allen Gruppen gelernt werden, damit die Kinder auch außerhalb der Gruppe gemeinsam singen können.
Überwältigt hat mich die große Freude der Kinder (fast aller Kinder) am Singen. Manchmal schienen die Kinder davon erfüllt zu sein. Ihre Gesichter waren offen, strahlend, stolz
Resümee aus der bisherigen Arbeit
Man muss nicht an den Kindern ziehen im Sinne von er-ziehen. Die Kinder folgen den „Erziehern“. Sie sind Vorbilder und ein wichtiges Gegenüber. Es ist wichtig, Erlebnisräume mit einem guten Maß an Sicherheit und Freiheit anzubieten. Ohne Frage, es ist schwer, manchmal sehr schwer. Das gemeinsame Singen hat Potenz.
Die „problematischen“ Kinder zeigen in der Gruppe oft mehr soziale Kompetenzen als in der Einzelarbeit. Sie sind integriert und nutzen den Schutz der Gruppe zum Probieren und Experimentieren mit ihren individuellen Ausdrucksmöglichkeiten. Die Gruppe ist für diese Kinder geschützter Entwicklungsraum. Dafür ist es jedoch erforderlich, dass die Gruppenleiter / Erzieher geeignete Handlungsmöglichkeiten anbieten.
Beim Gruppensingen im Kindergarten geht es nicht um das Absingen von Liedern, Vorsingen vor Senioren oder die Vorlieben der Erzieher. Vielmehr müssen die Erfahrungs- und Entwicklungsmöglichkeiten für die Kinder im Vordergrund stehen. Dabei geht es um individuell-kreativen Selbstausdruck, Wahrnehmungsfähigkeit und soziales Interagieren.
An den jetzigen Erzieherschulen findet, wenn überhaupt, der Musikunterricht nur sehr dürftig statt. Mit der Praxisbegleiterin in unserem Landkreis sprach ich über die oben beschriebenen Erfahrungen. Sie findet es wichtig, dass die Erzieherinnen Kompetenzen für das Singen in der Gruppe erwerben. Sie sollen mit Freude dabei sein und den Kindern Lust und Neugier am Singen und Musizieren vermitteln.
Daraufhin haben wir beide ein Angebot für die Kitas entwickelt. Die Praxisberaterin ist allerdings skeptisch, weil Singen als Ausdruck von Lebensfreude und Leid oft mit Angst und Hemmungen besetzt ist. Sich dem Singen wieder zu nähern, erfordert, sich zu zeigen und dabei selber wahrzunehmen. Das ist nicht leicht – aber möglich und nötig!